von Ulrich Heyden
Ein ehemaliger Rada-Abgeordneter will juristisch feststellen lassen, dass in Kiew ein Staatsstreich stattfand. Auch die Außenminister Steinmeier, Fabius und Sikorski sind zur Gerichtsanhörung eingeladen.
Am Donnerstag beginnt die zweite und letzte Runde einer Gerichtsanhörung im Moskauer Dorogomilowski-Gericht, bei der ehemals hochrangige ukrainische Spitzenbeamte als Zeugen zu den Ereignissen im Winter 2013/14 in der Ukraine aussagen. Kläger in dem Prozess ist der ehemalige Rada-Abgeordnete, Wladimir Olejnik. Er will vor Gericht feststellen lassen, dass im Februar 2014 in Kiew ein Staatsstreich stattfand.
In der vergangenen Woche fand die erste Runde der Anhörung statt. Vor Gericht sprachen sechs Zeugen, Viktor Janukowitsch (ehemaliger Präsident), Aleksandr Jakimenko (ehemaliger Geheimdienstchef), Nikolai Asarow (ehemaliger Ministerpräsident), Andrej Kljujew (ehemaliger Leiter der Präsidialverwaltung), Vitali Sachartschenko (ehemaliger Innenminister) und Viktor Pschonka (ehemaliger Generalstaatsanwalt). Alle sechs Zeugen erklärten, in der Ukraine sei mit Hilfe der USA und anderer westlicher Staaten ein von langer Hand vorbereiteter Staatsstreich durchgeführt worden. Die Anhörung der Zeugen wird live im Internet übertragen.
Janukowitsch konnte laut Verfassung nicht abgesetzt werden
Der Kläger, Wladimir Olejnik, ist selbst im Jahr 2014 aus Kiew geflüchtet. Alle seine Versuche, vor einem ukrainischen Gericht zu klagen, seien gescheitert, erklärte der Kläger, weshalb er jetzt vor einem russischen Gericht klagt. Das sei möglich, weil Russland, wie die Ukraine, die Deklaration der Menschenrechte unterzeichnet hat.
Neben der massiven finanziellen, politischen und medialen Unterstützung zugunsten einer Seite im inner-ukrainischen Konflikt, hätten westliche Staaten direkten Anteil an dem Staatsstreich, argumentiert Olejnik. Außerdem verstoße die Absetzung von Viktor Janukowitsch als Präsident gegen die Verfassung der Ukraine, laut der ein neuer, geschäftsführender Präsident nur bestimmt werden kann, wenn der amtierende zurückgetreten, krank, durch ein Amtsenthebungsverfahren abgesetzt oder gestorben ist. Keiner dieser Gründe treffen aber auf Viktor Janukowitsch zu, der am 21. Februar 2014 über Charkow auf die Krim flüchtete, weil ihm von den Radikalen des Maidan mit dem Tod gedroht wurde.
Auch Frank-Walter Steinmeier bekam eine Einladung vom Gericht
Das Moskauer Gericht hat nicht nur ehemalige, ukrainische Spitzenbeamte als Zeugen vor Gericht geladen, sondern auf Bitten des Klägers auch die Außenminister von Deutschland, Frankreich und Polen, Frank-Walter Steinmeier, Laurent Fabius und Radoslaw Sikorski. Sie seien „an der Sache interessierte Personen“, heißt es im Schreiben des Gerichts an Steinmeier, da die drei Außenminister der EU-Staaten ihre Unterschrift unter die Kompromiss-Vereinbarung zwischen dem ukrainischen Präsidenten und der Opposition vom 21. Februar 2014 setzten. Doch keine der eingeladenen Außenminister reagierte auf die Einladung des Gerichts.
Deutsche Medien schweigen zum Moskauer Prozess
Zur ersten Zeugenbefragung mit ex-Präsident Viktor Janukowitsch am vergangenen Donnerstag kamen 40 Journalisten, welche die Befragung in einem Nebensaal über Bildschirme verfolgten. Anwesend war auch die BBC, die allerdings nur in ihrem russischen und ukrainischen Programm über den Prozess berichtete. Bis auf Neues Deutschland und Junge Welt hat bisher keine einzige deutsche Zeitung über den Moskauer Prozess berichtet.
Die führende regierungsnahe Kiewer Internetzeitung Ukrainskaja Prawda berichtete über die Zeugenaussagen in Moskau immerhin im Nachrichtenstil, ohne eigene Wertung. Der Leiter des ukrainischen Sicherheitsrates, Aleksandr Turtschinow, bekannt für seine aggressiv-antirussischen Äußerungen, teilte via Facebook mit, bei der Moskauer Gerichtsverhandlung handele es sich um „Altersschwachsinn von Tyrannen“. Die Klage könne man „professioneller in einer Moskauer Psychiatrie behandeln.“
Scharfschützen in umliegenden Gebäuden
Der ehemalige Präsident Janukowitsch hatte bereits bei einer Vernehmung durch ein Kiewer Gericht am 28. November via Skype erklärt, die von ukrainischen Politikern des Mordes an Demonstranten beschuldigten Berkut-Polizisten hätten keinen Schießbefehl bekommen. Für die Toten auf dem Maidan seien Scharfschützen verantwortlich, die von Gebäuden geschossen hatten, die vom Maidan kontrolliert wurden. Janukowitsch erklärte, diesen Tatbestand habe der kanadische Politologe Ivan Katchanovski ausführlich dokumentiert.
Vor dem Moskauer Dorogomilowski-Gericht erklärte Ex-Präsident Janukowitsch nun außerdem, in der Botschaft der Vereinigten Staaten in Kiew habe es einen „Koordinations-Stab für den Aufstand“ gegeben. Die USA und andere westliche Staaten hätten den Maidan „allseitig unterstützt“. Westliche Staaten hätten ihn „gedrängt“, das Assoziationsabkommen mit der EU, welches nach Meinung von Janukowitsch „den nationalen Interessen der Ukraine widersprach“, zu unterzeichnen.
Der ehemalige Chef des ukrainischen Geheimdienstes SBU, Aleksandr Jakimenko, erklärte vor dem Moskauer Gericht, dass am 18. Februar 2014 auf dem Maidan „Scharfschützen und Sprengstoffexperten aus den baltischen Ländern, Polen und Georgien“ eingetroffen seien. Die zehn Scharfschützen hätten sich im Konservatorium versteckt. Später habe sich die Gruppe geteilt.
Ein Teil sei in das Hotel Ukraina gegangen. Man habe nicht genug Ermittler gehabt, sie zu verfolgen. Der Geheimdienst SBU habe sich dann mit der Aufforderung an die Führung des Rechten Sektor gewandt, die Scharfschützen gemeinsam festzunehmen. Man sei deshalb in das Hotel Ukraine gegangen, sei dort aber von Andrej Parubi, dem damaligen Kommandanten des Maidan und jetzigen Parlamentsvorsitzenden, aufgehalten worden.
Kein spontaner Aufstand sondern über Jahre geplant
In den Maidan-Hundertschaften – so der ehemalige Geheimdienstchef – habe es Instrukteure aus Deutschland, Polen und Georgien gegeben. Der Maidan sei lange vorbereitet worden. In „Trainingslagern“ habe man unter Leitung von Instrukteuren aus Polen, Georgien und den baltischen Staaten Teilnehmer ausgebildet. Die USA hätten über die Diplomaten-Post Geld und Ausrüstung nach Kiew geschickt. Außerdem seien „Spezialisten zweifelhaften Charakters“, „Scharfschützen und Sprengstoffexperten“ nach Kiew gereist.
Es habe Franzosen und Deutsche gegeben, die sich an den „sogenannten friedlichen Aktionen“ beteiligten. In Wirklicht seien sie „Instrukteure“ gewesen. Am 18. Februar habe man Waffen auf den Maidan gebracht. Auf dem Platz habe es ein Waffenlager gegeben, welches vermint war. Ein Teil der Minen sei im Gewerkschaftshaus (das am Maidan liegt) hergestellt worden. Man habe dem US-Botschafter auf die Waffenschmiede aufmerksam gemacht, dieser habe gesagt, man habe den Hinweis geprüft, es sei aber nichts gefunden worden. In der Werkstatt sei es zu einer Explosion gekommen. Zwei Personen wurden verletzt und nach Polen gebracht.
Was im Jahr 2014 passierte sei eine „gut geplante, militärische Operation gewesen“, erklärte der ehemalige Leiter der ukrainischen Präsidialverwaltung, Andrej Kljujew. Es könne nicht angehen, „dass einfache Demonstranten gleichzeitig im ganzen Land Verwaltungen und Gebäude der Innenbehörde, des Geheimdienstes und Lager des Militärs besetzen, die Leute auf dem Maidan bewaffnen, Militäreinrichtungen besetzen und blockieren.“ Sowohl die „Ereignisse von 2004“ (gemeint ist die orangene Revolution) als auch die „Ereignisse von 2014“ (gemeint ist die sogenannte „Revolution der Würde“), wurden „nach einer Schablone vorbereitet“, „vielleicht sogar von ein und denselben Spezialisten und den gleich Vertretern des Geheimdienstes der USA“, meinte Kljujew.
Der ehemalige Leiter der Präsidialverwaltung erklärte, die Scharfschützen seien von Sergej Paschinski, dem jetzigen Leiter des Rada-Komitees für Sicherheit und Verteidigung nach Kiew geholt worden. „Es wurden zwei Gruppen von Scharfschützen geholt, eine aus Georgien, eine andere aus den baltischen Ländern“. Kljujew erklärte, Wladimir Dachnadse, ein Mitglied der georgischen Scharfschützen-Gruppe, sei vom Rechten Sektor verhört worden. Er habe zugegeben, dass er nach Kiew gekommen sei, „um Geld zu verdienen“. Dann jedoch sei Paschinski gekommen und habe Dachnadse „mitgenommen“.
Hat die damalige Kiewer Regierung gegenüber dem Maidan richtig gehandelt?
In Russland und der Ukraine ist die Frage, ob es im Februar 2014 noch eine andere Lösung des Konflikts auf dem Maidan gegeben hätte, immer noch Gegenstand von emotional geführten Diskussionen, wie sich am Sonntagabend in der Fernseh-Talk-Show des Moskauer TV-Moderators Wladimir Solowjow zeigte.
Igor Markow, ein Polit-Emigrant aus Odessa, der in Moskau lebt, fragte (Minute 1:41) den bei der Talk-Show anwesenden ehemaligen Innenminister der Ukraine, Vitali Sachartschenko, warum er nicht entschiedener gegen den Maidan vorgegangen sei. „Ein Befehl hätte ausgereicht“ und es wäre nicht zur Krise des Landes „und zum Krieg in der Ost-Ukraine gekommen“, erklärte der empörte Markow.
Der ehemalige Innenminister antwortete sehr ruhig, es sei einfach nach einer verlorenen Schlacht einen Schuldigen zu suchen. Er habe an vielen Treffen mit dem Präsidenten Viktor Janukowitsch teilgenommen, wo man über Lösungsmöglichkeiten beraten habe. Wichtig sei in der Hochphase des Maidan gewesen, den Boden der Verfassung nicht zu verlassen. Man habe intensiv nach einer politischen Lösung der innenpolitischen Krise gesucht. Eine einfache Lösung habe es nicht gegeben, denn „außer den Radikalen gab es noch 100.000 Demonstranten“.
Auf dieses Argument wusste auch Markow keine Antwort. Sicherlich waren nicht konstant 100.000 Menschen in Kiew auf den Beinen. Aber offenbar fürchtete der damalige ukrainische Innenminister, dass ein Polizeieinsatz zum Beispiel gegen das Waffenlager der Radikalen auf dem Maidan zu Blutvergießen geführt, was wiederum von westlichen Medium ausgenutzt und die Situation weiter hochgeschaukelt hätte. Das wesentliche Problem war nach Meinung des Autors dieser Zeilen, dass die damalige ukrainische Regierung an der Medienfront in der Defensive war. Viele der von ukrainischen Oligarchen kontrollierten Kanäle sowie westliche Fernsehsender prägten in der öffentlichen Meinung das Bild, die „Guten“ seien die Demonstranten und die „Schlechten“ die Regierung. Die schweigende Mehrheit in der Ukraine – die einfach weiter zur Arbeit gingen und sich nicht an Protesten beteiligten – fanden in den Medien kein Gehör. Dadurch geriet die Regierung in eine ausweglose Lage. Und dies war einer der wesentlichen Gründe, warum fast alle Spitzenbeamte der Regierung nach Russland flüchteten.